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Ungeplante Nachfolge: großes Risiko fürs Familienvermögen

Interview mit Dr. Christopher Riedel LL. M., Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht in eigener Kanzlei in Düsseldorf

Wer ein Vermögen aufgebaut hat, braucht einen Plan für die zielgerichtete und tragfähige Vermögensnachfolge. Dabei spielen zahlreiche steuerliche und rechtliche Instrumente eine Rolle, mit deren Hilfe sich dieser Übergang sinnvoll gestalten und das Vermögen schützen lässt.

Warum ist es wichtig, dass sich die Deutschen professionell mit ihrer Vermögensnachfolge befassen?

Dr. Christopher Riedel: Das Vermögen der Deutschen wächst und wächst. Das zeigt regelmäßig die Bundesbankstudie „Private Haushalte und ihre Finanzen“. Alle drei Jahre erfasst sie Vermögenswerte wie Wohneigentum, Fahrzeuge, Bankguthaben und Ansprüche aus privaten Renten- und Lebensversicherungen. Dem stellt die Studie auch Schulden wie Hypotheken oder Kredite entgegen. Das Ergebnis der jüngsten Studie: Die deutschen Haushalte verfügen über ein durchschnittliches Nettovermögen von 316.500 EUR. Damit verzeichnet die Umfrage einen neuen Höchststand. In den vergangenen zehn Jahren war der Wert nie so hoch. Allein zwischen 2017 und 2021 erhöhten sich die durchschnittlichen Vermögen um 36 Prozent. Und im Sommer teilte die Deutsche Bundesbank mit, dass sich das Geldvermögen der privaten Haushalte in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 im Vergleich zum Vorquartal um 146 Milliarden auf rund 7.393 Milliarden EUR erhöht hatte. Damit einhergehend steigen in Deutschland die Anforderungen an eine tragfähige, generationenübergreifende Gestaltung der Vermögensnachfolge. Aktuellen Studien zufolge sollen in den Jahren bis 2027 jeweils 87 Milliarden EUR pro Jahr vererbt werden. Und jede fünfte Erbschaft in Deutschland hat einen Wert von mehr als einer Viertelmillion EUR. Es stehen also riesige Summen im Raum, sodass Erbschaften und Schenkungen entsprechend professionell und zukunftsweisend strukturiert und gestaltet werden müssen.

Welche Risiken bestehen bei einer unzureichenden Planung?

Die Gefahren sind breit gefächert. Häufig wird beispielsweise die Komplexität der Erbmasse unterschätzt, wodurch es zu einer „Steuerbombe“ kommen kann, weil die steuerlichen Freibeträge weit überschritten worden sind. Nehmen wir an, ein Gesamtportfolio aus Immobilien, Wertpapieren, Kunst und anderen Vermögensgegenständen ist nach der zum Zeitpunkt des Erbfalls gültigen Bewertung 3 Millionen EUR wert. Jetzt erbt ein Einzelkind diese Vermögenswerte. Abzüglich des persönlichen Freibetrags verbleibt ein zu versteuernder Erwerb von 2,6 Millionen EUR. Daraus resultiert für den Erben eine Steuerlast in Höhe von knapp 500.000 EUR, die er unmittelbar aufbringen muss. Schließlich zahlt das Kind Erbschaftsteuer nach der Steuerklasse I und damit zwischen 7 und 30 Prozent Steuer auf den Erwerb – je nach Größenordnung. Bei einer Erbschaft mit einem Wert im Bereich zwischen 600.001 und 6 Millionen EUR beispielsweise werden 19 Prozent Steuer fällig.

Was bedeutet das in der Praxis konkret?

In der Regel führt diese Situation zu einer Veräußerung von Vermögenswerten oder dem Abfluss von liquidem Kapital. Immerhin haben nur die wenigsten die finanziellen Mittel, um die Forderungen der Finanzverwaltung nach Festsetzung der Erbschaftsteuer innerhalb der kurzen Frist in bar aufzubringen. Mit dem angestrebten Schutz des Vermögens der übergebenden Generation hat dies natürlich nicht mehr viel zu tun. Denn dass eine Veräußerung aus erbschaftsteuerlichen Gründen bei der notwendigen hohen Geschwindigkeit nur in den seltensten Fällen zu einem attraktiven Preis geschehen wird, versteht sich ohnehin von selbst.

Wie kann man diesem Problem entgegenwirken?

Im Fokus der Vermeidung der Steuerbombe steht, eine professionelle Schenkungsstrategie zu entwickeln und das Vermögen nach und nach unter Ausnutzung der gesetzlichen Freibeträge zu übertragen. Diese können alle zehn Jahre in Anspruch genommen werden. Dann lassen sich größere Vermögen unter Umständen so verteilen, dass im Erbfall kaum oder sogar keine Steuern fällig werden. Konkret bedeutet das, dass der Ehegatte einen persönlichen Freibetrag von 500.000 EUR, das Kind von 400.000 EUR und der Enkel von 200.000 EUR geltend machen kann. Je weiter entfernt die Verwandtschaftsverhältnisse sind, desto niedriger werden die Freibeträge. Der Erbschaftsfreibetrag für einen Bruder oder eine Schwester liegt übrigens trotz der großen familiären Nähe nur bei 20.000 EUR. Diese Freibeträge schaffen großen Spielraum in der Gestaltung der privaten Vermögensnachfolge. Das eben genannte beispielhafte Drei-Millionen-Portfolio kann durch die zweimalige Ausnutzung der Freibeträge so reduziert werden, dass beim tatsächlichen Erbfall an den dann verbleibenden Erben nur noch 800.000 EUR der Erbschaftsteuer unterfallen. Das reduziert die steuerliche Belastung auf rund 150.000 EUR und schafft auch strategisch einen fließenden Übergang für einen frühzeitigen Umgang mit den neuen finanziellen Mitteln.

Mitunter besteht auch die Möglichkeit, das Vermögen teilweise so umzuschichten, dass steuerliche Bewertungsvorteile genutzt werden können, zum Beispiel der Wertabschlag von 10 Prozent bei vermieteten Wohnimmobilien oder noch weiter gehende Begünstigungen für sogenanntes Produktivvermögen.

Zur Gestaltung der Nachfolge gehört auch ein Testament. Was raten Sie in diesem Zusammenhang?

Die Gestaltung eines rechtlich und strategisch abgesicherten Testaments ist äußerst wichtig. Das juristisch einwandfreie Testament, das die Vorstellungen, Ziele und Wünsche des Erblassers beziehungsweise der Erblasser eindeutig formuliert, ist ein wichtiges Instrument für jede Familie und sollte nicht erst irgendwann und schon gar nicht zwischen Tür und Angel gestaltet werden. Je früher es aufgesetzt wird, desto größer ist natürlich auch die Absicherung im plötzlichen Erbfall, der beispielsweise durch Unfall oder Krankheit jederzeit auftreten kann. Dazu ein paar Zahlen: Angeblich sind zwei Drittel der Deutschen der Meinung, sie sollten für den Fall ihres Todes Vorsorge treffen und ein Testament machen. Aber nur in circa 20 Prozent der Erbfälle ist tatsächlich ein Testament vorhanden – und Experten schätzen, dass nur 3 Prozent aller Erbfälle (auch steuerlich) sinnvoll geregelt sind.

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Was raten Sie im Hinblick auf die Testamentsgestaltung?

Um zunächst den überlebenden Ehegatten abzusichern, empfiehlt sich in vielen Fällen das Berliner Testament, also die gegenseitige Erbeinsetzung. Nach den Grundsätzen des Berliner Testaments ordnen die Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament an, dass nach dem Tod des zuerst versterbenden Ehegatten der Überlebende Alleinerbe wird und erst nach dessen Ableben (zweiter Erbfall) das dann noch vorhandene Vermögen an die (üblicherweise gemeinsamen) Kinder fallen soll. Neben dem Berliner Testament besteht die Möglichkeit, ganz individuelle Regelungen für die Vermögensnachfolge zu finden und auch allerkleinste Details minutiös zu definieren, unter anderem, welcher Erbe welche Vermögenswerte unter welchen Bedingungen erhalten soll. Wichtig ist in jedem Fall, dass dem Testament ein sinnvolles Konzept zugrunde liegt, und zwar sowohl in familiärer und wirtschaftlicher Hinsicht als auch unter zivil- und steuerrechtlichen Gesichtspunkten. Das gilt insbesondere auch für das Berliner Testament, bei dem ergänzende Regelungen für eine steuerlich günstige Vermögensverteilung besonders wichtig sind.

Wie sichern Vermögensinhaber die Familie für den plötzlichen Erbfall ab?

Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Vermögensinhaber können sich mit einem Notfalltestament schützen. Ein schwerwiegendes Ereignis wie Unfall, Krankheit oder Tod hat neben den persönlichen Folgen gegebenenfalls auch weitreichende wirtschaftliche und rechtliche Folgen. Im sogenannten Notfalltestament werden die wesentlichen Verfügungen zum Umgang mit dem Vermögen festgelegt. Das Notfalltestament kann durchaus in Form des Berliner Testaments zur gegenseitigen Erbeinsetzung gestaltet werden, damit der Ehepartner zunächst alleiniger Erbe wird. Das verhindert, dass im Falle des Todes des Unternehmers beispielsweise die gesetzliche Erbfolge in Kraft tritt und das Vermögen zwischen Ehegatten und Kindern zersplittert wird. Gerade bei minderjährigen Kindern ist dies wichtig.

Kann ein Testament auch dabei helfen, Streitigkeiten in der Familie zu vermeiden?

Das Testament schafft in jedem Fall Klarheit und sorgt dafür, dass alle Beteiligten einen eindeutigen Willen des Erblassers erkennen und demnach verbindlich handeln können. Das verhindert Rätselraten um den tatsächlichen Willen des Erblassers. Und ebenso können gesetzliche Erben aus der Erbfolge ausgeschlossen werden. Das hat mit der Testierfreiheit zu tun. Jeder Erblasser kann also in seinem Testament grundsätzlich eigene, von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Regelungen treffen. Dabei kann er auch seine nächsten Angehörigen enterben, diese also vom Erbe ausschließen.

Was passiert in solchen Fällen?

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch können nicht alle gesetzlichen Erben ohne Weiteres völlig ausgeschlossen werden, sodass ihnen nicht die gesamten Ansprüche entzogen werden. Denn die Kinder, der Ehegatte und mitunter auch die Eltern können nach den Paragrafen 2303 ff. BGB Pflichtteilsansprüche gegen den Erben geltend machen. Der Pflichtteil besteht grundsätzlich in einem Geldbetrag in Höhe der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteil ist grundsätzlich ein Ba     ranspruch und er ist unverzüglich zu begleichen. Das bedeutet also, dass der übergangene Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem oder den Erben den Anspruch direkt nach dem Erbfall geltend machen kann.

Kommen wir nochmals auf das Thema lebzeitiger Schenkungen zurück. Wie können Vermögensinhaber sich dahingehend absichern, dass die Beschenkten mit dem Vermögen ordentlich umgehen?

Unter bestimmten Umständen können Schenkende nach Schenkungen Rückforderungsrechte geltend machen. Das Bürgerliche Gesetzbuch definiert in Paragraf 530 – „Widerruf der Schenkung“ – Fälle, in denen der Schenker seine Gaben zurückverlangen kann. Es muss aber einen triftigen Grund für die Rückforderung geben, beispielsweise einen Angriff auf Leib und Leben des Schenkers oder die Verursachung einer erheblichen Vermögensschädigung auf Seiten des Schenkers.

Es ist aber ohne Weiteres möglich, vertraglich zusätzliche, individuelle Rückforderungsrechte zu vereinbaren. Eine Rückschenkung durch den Beschenkten wäre jedenfalls eine steuerliche Katastrophe. Schließlich erhält ein Elternteil bei Schenkungen von den Kindern nur einen Freibetrag von 20.000 EUR und die Übertragung unterliegt der ungünstigeren Steuerklasse II. Damit wären die Steuervorteile der Schenkungsstrategie nicht nur aufgehoben, sondern es würde ein erheblicher Vermögensschaden entstehen.

Wie lassen sich Rückforderungsrechte also konkret gestalten?

Es ergibt Sinn, bei der Gestaltung der Schenkung im Übergabevertrag vorausschauend bereits einen Katalog von Rückforderungsgründen zu vereinbaren, bei deren Eintritt der Schenker die Schenkung widerrufen kann. Dieser Rückforderungsvorbehalt ist der sicherste Weg für den Schenker, eine Schenkung rückgängig machen zu können. Diese Gründe können im Vertrag ganz individuell definiert werden und dementsprechend weit über diejenigen hinausreichen, die das Bürgerliche Gesetzbuch anführt. Das ist aus steuerlichen Gründen angezeigt, erspart langwierige Auseinandersetzungen und sichert den Schenker ab. Solche vertraglichen Gestaltungen sind im Grunde sogar fester Bestandteil zum Schutz des Familienvermögens und Basis wirklich tragfähiger Regelungen.

Wir haben jetzt sehr viel über die private Vermögensnachfolge gesprochen. Welche Herausforderungen ergeben sich bei unternehmerischen Vermögenswerten?

Grundsätzlich gelten die Schutzmechanismen auch für das unternehmerische Vermögen. Auch der Übergang von Gesellschaftsanteilen sollte beispielsweise testamentarisch geregelt werden, um Klarheit zu schaffen. Bei Unternehmensvermögen lassen sich oft zusätzlich zu den persönlichen steuerlichen Freibeträgen weitere Vorteile ausnutzen. Denn je nach Wert und Zusammensetzung des unternehmerischen Vermögens und bei Einhaltung bestimmter Haltefristen kommen bei der Übergabe weitere steuerliche Verschonungen zum Tragen. Dabei kommt es vor allem auf die Bewertung des unternehmerischen Vermögens an. Das ist ein wichtiger steuerlicher Aspekt und bedarf intensiver individueller Befassung.

Inwiefern sollten Financial Planner diese Aspekte in der Beratung beachten?

Financial Planner sind als Trusted Advisor in der Regel die ersten Ansprechpartner für vermögende Privatpersonen, wenn es um die Generationenfolge geht. Daher sind sie auch gefragt, steuerliche und rechtliche Themen frühzeitig zu adressieren und für die Analyse, Planung und Umsetzung bei professionellen Begleitern zu platzieren. Die nicht umfassend strukturierte Vermögensnachfolge ist ein viel größeres Risiko für das Vermögen als eine falsche Investition oder ein Rückgang an den Kapitalmärkten, denn Fehler in der Nachfolgeplanung lassen sich kaum rückgängig machen. Daher sind Financial Planner der beste Impulsgeber für eine sinnvolle Gestaltung der Vermögensnachfolge.

Das Interview führte Maximilian Kleyboldt vom Netzwerk der Finanz- und Erbschaftsplaner e. V.

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Dr. Christopher Riedel LL. M., Rechtsanwalt, Düsseldorf

Dr. Christopher Riedel ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht in eigener Kanzlei in Düsseldorf. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Bereich der Vermögens- und Unternehmensnachfolge unter Einbeziehung gesellschafts-, steuer- und erbrechtlicher Aspekte. Dr. Riedel ist unter anderem langjähriger Kommentator zum Pflichtteilsrecht und Mitherausgeber eines Kommentars zum ErbStG und BewG sowie der Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis (ZErb). Außerdem ist er Referent in der Fachanwalts- und Fachberaterausbildung. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter, unter anderem im zentUma-Studienlehrgang „Zertifizierter Unternehmensnachfolgeberater“ (Universität Mannheim) sowie im Masterstudiengang „Erbrecht und Unternehmensnachfolge“ der Universität Münster.


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